Tichys Einblick
„Lex AfD“?

Eine Fünferkoalition will „Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichtes“

Das Bundesverfassungsgericht soll mit einer Änderung des Grundgesetzes besser vor einer politisch bzw. „populistisch“ motivierten Entmachtung geschützt werden. Es ein typischer Fall von Projektion: Angeblich könnten sich Extreme „Karlsruhe“ zur Beute machen.

picture alliance/dpa | Uli Deck

Dass eine Fünferkoalition aus SPD/CDU/CSU/Grünen/FDP zustande kommt, ist selten, dann aber meistens auch doch seltsam. Nach einem monatelangen Gewürge sind die genannten Fünf nun am Dienstag, 23. Juli, vor die Bundespressekonferenz getreten und haben ihre Vorschläge für eine „Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichtes“ präsentiert. Wie sinnvoll hier das Wort „Resilienz“ ist, soll an dieser Stelle offenbleiben.

Das Motiv der Fünf ist jedenfalls: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) soll mit einer Änderung des Grundgesetzes besser vor einer politisch/“populistisch“ motivierten Entmachtung geschützt werden. Konkrete Befürchtungen der Fünf sind:

Erstens könnten extreme Parteien bzw. Fraktionen bei einem weiteren Erstarken bis hin zu einer einfachen Mehrheit im Bundestag das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfGG) ändern. Zentrale Strukturregeln wie die Festlegung auf zwei Senate oder die Amtszeit von 12 Jahren stehen nämlich bislang nur im BVerfGG. Sie könnten also jederzeit mit einfacher Mehrheit geändert werden, etwa was in § 6 die Zusammensetzung des Wahlausschusses zur Wahl der BVerG-Richter betrifft.

Zweitens könnten diese Parteien bereits mit einer Drittel-Sperrminorität im 12-köpfigen Wahlausschuss die Wahl von BVerfG-Richtern blockieren. Mit dem Grundgesetz könnte dies nicht verhindert werden, denn das Grundgesetz schreibt in Art. 93 und 94 nur Rahmenbedingungen vor.

Drittens: Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Ungarn und Polen (hier mit der PiS-Regierung von 2015 bis 2023) haben politische und juristische „Hochkaräter“ immer wieder gefordert, das BVerfG besser vor Verfassungsfeinden zu schützen. Das würden die Erfahrungen mit der illiberalen Demokratie in einigen europäischen Staaten nahelegen. Dort wurden mit einfacher Mehrheit Richterwahl und Amtszeit geändert und damit dessen Kontrollfunktionen eingeschränkt.

Die Vorgeschichte

Eine Änderung des Grundgesetzes setzt bekanntermaßen eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat voraus. Hierfür wieder braucht es die Stimmen der „Ampel“-Parteien und der CDU/CSU. Noch Ende Februar 2024 waren entsprechende Einigungsversuche der Fünf gescheitert. Zu diesem Zeitpunkt allerdings lagen bereits Empfehlungen der Justizminister der 16 Länder vor. Weil Teile der Union zunächst keinen Bedarf für eine Grundgesetzänderung sahen, brachen die Verhandlungen Ende Februar 2024 erst einmal ab, ehe CDU/CSU-Fraktionschef Merz dann Ende März doch eine „vertrauliche“ Debatte mit den „Ampel“-Koalitionären wollte. Da zog auch Bundesjustizministers Buschmann (FDP) mit einem Gesetzesentwurf nach.

Zwischenzeitlich hatten sich Ex-Verfassungsrichter in die Debatte eingeschaltet. Ex-BVerfG-Vizepräsident Ferdinand Kirchhof setzte sich Ende März 2024 kritisch mit dem Buschmann-Entwurf auseinander, mahnte aber zugleich an, die „offene Flanke“ grundgesetzlich zu schließen und alle wesentlichen Vorgaben für das Gericht in die Verfassung aufzunehmen, um es so stabiler zu gestalten.

Die vormaligen BVerfG-Richter Gabriele Britz und Michael Eichberger hatten sich am 10. Januar 2024 in der FAZ zu Wort gemeldet und um mehr „Widerstandskraft“ für „Karlsruhe“ geworben.

Wie und was die Fünfer-Koalition nun präsentierte: wenig bis nichts

Bei der groß angekündigten Pressekonferenz am 23. Juli traten nun auf: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), Andrea Lindholz (CSU und Ansgar Heveling (CDU), Johannes Fechner (SPD), Konstantin von Notz (Grüne), Stephan Thomae (FDP). Einige von ihnen sind Mitglieder oder stellvertretende Mitglieder des 12-köpfigen Bundestags-Wahlausschusses, der derzeit aus 5 SPD-Leuten, 3 CDU/CSU-Leuten, zwei „Grünen“ und je einem Mitglied aus FDP und AfD besteht.

Mehr als einen Minimalkonsens haben die Fünf am 23. Juli aber nicht zustande gebracht. Demnach soll die Zahl der Senate (zwei) sowie die der Richter (je acht), ihre Amtszeit (zwölf Jahre) und die Altersgrenze (68 Jahre) ins Grundgesetz aufgenommen werden. Ebenso soll dort eine Wiederwahl ausgeschlossen werden. All das entspricht den bisherigen Regelungen. Die stehen allerdings eben nur in einem einfachen Gesetz – dem BVerfGG. Durch eine Regelung im Grundgesetz bräuchte es für eine Änderung eine Zweidrittelmehrheit – es wäre also nicht mehr so einfach möglich. Neu ist der Vorschlag, auch die Geschäftsordnungsautonomie des BVerfG ins Grundgesetz zu heben. Das Gericht solle seine Arbeitsweise also selbst festlegen können. Naja!

Der Entwurf weist freilich eine Leerstelle aus: die Wahl der Richter mit Zweidrittelmehrheit. Das ist derzeit ebenfalls nur in einem einfachen Gesetz festgelegt und soll sicherstellen, dass hinter der Wahl eine breite Mehrheit steht. Die Zweidrittelmehrheit für die Richterwahl ins Grundgesetz zu schreiben, sieht die Einigung der Regierungsparteien und Union allerdings nicht vor. Es wird also vorerst bei der Regelung im BVerfGG bleiben – was bedeutet, dass sie mit einfacher Mehrheit abgeschafft werden kann. Der Haken dabei: Hat etwa im Bundestag eine Fraktion mehr als ein Drittel der Stimmen, könnte sie die Wahl einer Richterin oder eines Richters blockieren. Doch für solche Szenarien gibt es Lösungsvorschläge – zum Beispiel: Wird eine Richterwahl im Bundestag blockiert, könnte der Bundesrat als Wahlorgan einspringen und umgekehrt. Zustimmung fanden am Ende unter den Fünf nur „punktuelle“ Ergänzungen. Zum Beispiel der Appell, dass sich die 16 Länder mit ihren Landesverfassungen und Landesverfassungsgerichten dem eingeschlagenen Weg anschließen mögen.

Pikanterien

Das ganze Verfahren ist nicht frei von Pikanterien. SPD-Innenministerin Faeser assistierte interessanterweise: „Unser Rechtsstaat darf nicht von innen heraus sabotiert werden können.“ Das ist ein Satz, der ihr spätestens nach dem jüngsten „Compact“-Verbot und im Zuge der von ihr ausgehenden fortschreitenden Delegitimierung der Meinungsfreiheit auf die Füße fallen sollte! Eine der Verhandlungsführerinnen der CDU/CSU in der aktuellen BVerfG-Sache, Andrea Lindholz (CSU), hatte das „Compact“-Verbot übrigens als „wichtigen Schlag gegen die Propaganda der Neuen Rechten“ begrüßt.

Das also sind die Hüter(innen) der FDGO? CSU-Frau Lindholz hatte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe im Januar 2024 auch schon mal gesagt: „Wir teilen die Sorge der parteipolitischen Einflussnahme auf die Justiz und insbesondere das Bundesverfassungsgericht.“

Dass sich die Parteien das BVerfG immer mal wieder mit Hinterzimmermauscheleien bei der Besetzung der Karlsruher Posten zur Beute gemacht hatten? Nein, das war doch nie der Fall, oder? Dass in Karlsruhe zuletzt immer wieder sehr regierungstreue Urteile und Beschlüsse gefasst worden waren? Siehe etwa Klima-Urteil? Nein, das ist ja etwas ganz anderes!

Pikant ist auch, was die Fünf vermutlich antreibt: die Befürchtung, die AfD könnte (mit oder ohne BSW) weiter an Stärke gewinnen, gar den Bundestag dominieren. Verbunden mit dem unausgesprochenen Eingeständnis, dass man von Seiten der Fünf die Erfolgsaussichten der politischen Auseinandersetzung mit AfD und BSW wohl schon als gering beiseitegelegt hat. Verbunden aber – bewusst oder unbewusst – auch mit der Projektion, AfD und BWS könnten jetzt das tun, was die Altparteien seit Jahrzehnten taten: sich die Gerichte zur Beute zu machen.

Ansonsten freilich stehen die Hilfstruppen der Fünf bereits Gewehr bei Fuß, namentlich die meisten Medien und Kampagnen-Organisationen wie „CAMPACT“ (nicht zu verwechseln mit „COMPACT“). CAMPACT hat bereits eine Unterschriftenliste für mehr Schutz des BVerfG vor der AfD (sic!) aufgelegt und angeblich fast schon vierhunderttausend Unterschriften gesammelt.

Jaja, die Angst vor AfD und BSW muss schon groß sein, die Angst vor dem Wahlvolk („Demophobie“) und das krampfhafte Bauen an Brandmauern offenbar auch.

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