Tichys Einblick
Märkte erwarten Lösung des Problems

Stürzt die Ukraine Ungarn in eine Wirtschaftskrise?

Die Ukraine verbietet den Transit russischen Erdöls der Firma Lukoil nach Ungarn und in die Slowakei. Die Folgen können verheerend sein. Es gibt eine Lösung, die mit Weißrussland zu tun hat.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited

Ganz nebenbei sagte Ungarns Außenminister Péter Szijjártó am 16. Juni in New York nach einem Gespräch mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, dass „gegenwärtig” kein Öl der russischen Firma Lukoil über die Ukraine nach Ungarn fließ. Man arbeite aber an einer „rechtlichen Lösung”. Es war das erste Mal, dass die Öffentlichkeit davon erfuhr, dass es da ein Problem gebe.

Am 18. dann brachte als erstes Medium das ungarische Wirtschaftsportal portfolio.hu eine Analyse, aus der die Schwere der Lage deutlich wurde, und bis zum 20. wuchs sich die Geschichte zu Schlagzeilen in den Weltmedien aus: Die Ukraine hatte mit einem Federstrich eine Situation geschaffen, die Ungarn in eine Wirtschaftskrise stürzen könnte. Szijjártó sprach von einem „unfreundlichen Akt” und einer „Gefährdung der Energiesicherheit Ungarns”, und wollte das Thema auch in Brüssel auf die Tagesordnung setzen.

Da aber die ungarische Währung, der Forint, auch am 22. noch keinerlei Schwäche zeigte – im Gegenteil, der Forint erreichte am Montag einen sechswöchigen Höchstwert – scheinen die Märkte derzeit davon auszugehen, dass es die Krise ausbleiben wird.

Worum es geht: Am 26. Juni, mit Wirkung ab 1. Juli, verschärfte die Ukraine ihre Sanktionen gegen den russischen Ölkonzern Lukoil. Spezifisch wurde Lukoil (und auch dem russischen Ölkonzern Rosneft) verboten, die in Staatsbesitz befindlichen ukrainischen Ölpipelines für den Transfer von Rohöl zu mieten. Begründung: Lukoils Erdöl-Export verschaffe dem russischen Staat Devisen und helfe, den Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren. Infolge dessen darf Öl von Lukoil seit dem 1. Juli nicht mehr über das Staatsgebiet der Ukraine zu den Abnehmerländern fließen. Das sind Ungarn und die Slowakei. In beiden Ländern ist das Endziel jeweils eine große Raffinierie, im ungarischen Szászhalombatta und in der Nähe der slowakischen Hautstadt Bratislawa. Beide gehören zum ungarischen Ölkonzern MOL.

Wieviel Öl bisher von Lukoil kam, darüber haben verschiedene Experten in den vergangenen Tagen verschiedene Angaben gemacht, aber es ist mindestens ein Drittel des ungarischen Ölimports aus Russland, im Rahmen eines Vertrages, der noch bis Ende 2025 läuft. Ab 2026 will MOL dank technischer Umrüstung seiner ungarischen Raffinerie in der Lage sein, auch nicht-russisches Öl verwenden zu können. Derzeit geht das aber nur begrenzt.

Ein Ausfall eines Drittels der russischen Öllieferungen und damit eines Drittels der ungarischen Benzin- und Dieselproduktion würde zwangsläufig zu einer Preisexplosion bei diesen Produkten führen, mit Auswirkungen auf andere Wirtschaftszweige. Bei Spitzenbelastung des Stromnetzwerkes, wie jetzt in diesem sehr heißen Sommer, wird Öl auch für die Stromerzeugung verwendet. Ein dauerhafter Ausfall hätte also auch Folgen für die Stromerzeugung und den Strompreis.

Außenminister Szijjártó sagte am 18., man habe „kurzfristige” Lösungen für das Problem gefunden, diese würden aber „bereits mittelfristig” nicht mehr ausreichen. Ungarns strategische Erdölreserve reicht für 90 Tage.
Auch die Slowakei ist betroffen vom Ausfall der Lukoil-Lieferungen, kann aber aus anderen Richtungen Erdöl importieren. Nur Ungarn steht vor einer schweren Situation.

Das Land importiert zwar auch über die Adria-Pipeline Erdöl. Aber deren Kapazität reicht nicht aus, um den Verlust auszugleichen. Zudem hat Kroatien seine Transitgebühren um ein Mehrfaches angehoben – was MOL dazu bewegte, so lange wie möglich am russischen Öl festzuhalten.

Es gibt in dieser Situation nur drei denkbare Lösungen. Entweder, Ungarn kauft aus anderer Quelle, etwa über den Ölkonzern Tatneft russisches Öl. Aber auch Tatneft kann von Kiew sanktioniert werden. Oder es gelingt, das Problem auf diplomatischem Wege zu lösen. Immerhin war Orbán am 2. Juli in Kiew (das Verbot gegen Lukoil wurde vorher verhängt, am 26. Juni). Ungarn kann die EU-Beitrittsverhandlungen der Ukraine bei Bedarf blockieren oder doch verlangsamen, besitzt also ein Druckmittel.

Aber Szijjárto sprach am 16. Juni von einer „rechtlichen” Lösung, an der man arbeite. Die könnte theoretisch darin bestehen, die rechtliche Übergabe des Produkts – des Öls – an den Endabnehmer (MOL) von der ungarischen Grenze weg zu verlagern. Die „Freundschaft”-Pipeline, über die das Öl fließt, führt über Weissrußland in die Ukraine. Eine rechtliche Übernahme des Öls durch den Käufer (MOL) an der russisch-weissrussischen Grenze, oder an der Grenze Weissrusslands zur Ukraine, könnte die Bestimmungen der Sanktion umgehen.

Denn verboten ist nur die Vermietung von Pipelinekapazitäten an Lukoil. Erfolgt die Abnahme aber, bevor das Öl ukrainisches Staatsgebiet erreicht, so gehört das Petroleum gar nicht mehr Lukoil, sondern MOL, und MOL müsste dann Pipelinekapazität für den Transfer mieten.

Dass der Forint stabil bleibt, und auch die MOL-Aktie nicht eingebrochen ist (sie verlor seit dem 22. Juni nur etwa 0,5 %), könnte bedeuten, dass die Märkte von einer Lösung des Problems ausgehen.

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