Wie gewonnen, so zerronnen. Das könnte man angesichts des „Siegs“ der Linksfront bei den französischen Neuwahlen sagen. Der Traum von einer Linksregierung unter Einschluss der radikalen Truppen von Jean-Luc Mélenchon – die die stärkste Einzelpartei in dem linken Bündnis ausmachen – ist zunächst geplatzt, und es schaut nicht so aus, als ob jemand die Ballonfetzen zusammennähen könnte oder wollte.
Nun gibt es zwei linke Kandidaten, die ultralinke Mélenchon-Vertraute Huguette Bello für die Radikalen und der Sozialistenchef Olivier Faure, der für seine eigene Partei ins Rennen gehen könnte. Eine Mehrheit haben sie folglich beide nicht, höchstens der Sozialist Faure könnte auf etwas ähnliches hoffen, wenn man auch die konservativen Republikaner zur Zustimmung brächte. Aber auch das wird angesichts des Linksdralls der Macronie immer weniger denkbar.
Macron benutzt den Linksdrall zum Machterhalt
Im Hintergrund setzt sich das klammheimliche, taktische Bündnis aus Macronisten und Linksbündnis fort. Die parlamentarischen Ämter, insbesondere die Ausschussvorsitze, wurden nun diskret zwischen dem Präsidentenlager und einigen Linken vergeben. So darf ausgerechnet der ultralinke Abgeordnete Éric Coquerel weiterhin dem Finanzausschuss vorsitzen. Das soll die Kontrolle der Regierung in Finanzfragen garantieren. Die Macronie sicherte sich derweil sechs der acht Ausschussvorsitze, die Sozialisten erhielten einen. Es ist nicht viel anders als in Deutschland, wo auch eine diffuse Parteienkoalition die Parlamentsämter unter sich aufteilt, derart den scheinhaften Eindruck von Demokratie wahrend.
Und was bekam die Macronie für die beiden linken Ausschussvorsitze? Den Vorsitz des gesamten Parlaments, und das obwohl die Macron-Abgeordneten dort mit etwa 150 von 577 Sitzen wirklich nur noch eine Minderheit ausmachen. Im dritten Wahlgang gewann die bisherige Parlamentspräsidentin Yaël Braun-Pivet mit einer einfachen Mehrheit von 220 Stimmen gegen den Kommunisten André Chassaigne (207 Stimmen) und den Vize-Chef des RN, Sébastien Chenu, mit 141 Stimmen. Das „Aufsässige Frankreich“ schäumte vor Wut, die Abgeordnete Mathilde Panot nannte die Wahl der Alt-Inhaberin einen „antidemokratischen Akt“. Chenu sprach von „unnatürlichen Allianzen“, womit er dieses Mal aber nur die Allianz von Macronie, Sozialisten und Republikanern meinen konnte. In der Tat, eine solche große konservativ-macronistisch-sozialistische Koalition gilt in Frankreich noch als „unnatürlich“.
Die neugewählte Präsidentin der Nationalversammlung Yaël Braun-Pivet bezeichnete es nun als „nicht normal“, dass das RN aus dem Präsidium der Nationalversammlung ausgeschlossen wurde, und versicherte, dass die Stimme der Partei in den Gremien gehört werden werde. Nur wie eigentlich, ohne vertreten zu sein? Antwort: Marine Le Pen werde in der „conférence des présidents“ sitzen, die jeweils die Tagesordnung im Parlament festlegt – vermutlich durch ihr Amt als Fraktionschefin, aber ohne dass ein RN-Vertreter ihr in Konflikten den Rücken stärkt. So ist es offenbar gemeint, auf jeden Fall von den Linken, vielleicht billigend akzeptiert von den Macronisten. Daneben haben auch die konservativen Republikaner sich einen Vizepräsidenten-Posten und den eines Quästors im Parlament zuschanzen lassen.
Im EU-Parlament hat die Linke Manon Aubry am Donnerstag zunächst eine feurige Rede gegen von der Leyen gehalten, um sie dann nach der Abstimmung lächelnd zu umarmen. Jordan Bardella spießte das mit einem Video seiner neuen Fraktion „Patrioten für Europa“ auf. Kommentar: „Verstehen Sie jetzt, warum Emmanuel Macron das so unterwürfige Frankreich so sehr liebt?“ Gemeint ist die Fraktion der angeblich „nicht unterwürfigen“ Linken (La France insoumise, LFI).
Schlüsselposten fallen an Linke „im Dunkel der Nacht“
Daneben haben die linken Parteien aber, angeblich in einem nächtlichen Coup, die absolute Mehrheit in einem weiteren Gremium, dem einflussreichen Präsidium der Nationalversammlung errungen, das über die Aufhebung von Immunitäten und ähnliche Fragen entscheidet. Man kann das wohl mit dem Ältestenrat des Bundestags vergleichen. Schuld an der nicht-proportionalen Besetzung ist anscheinend wiederum der Ausschluss des RN von den Beratungen und Mehrheiten. Das Macron-Lager übergibt Frankreich so einer linken Mehrheit, die gleich zweifach auf tönernen Füßen steht: Sie repräsentiert keine Mehrheit im Volk – die in den vergangenen Wahlgängen stets an das RN ging – und übertreibt zudem die Sitzzahl der Linken auch in der manipulativ zustandegekommenen neuen Nationalversammlung.
Der ehemalige Verteidigungsminister Charles Millon (damals Mitglied des christlich-liberalen UDF) hat es im Gespräch mit dem Figaro auf den Punkt gebracht: In Frankreich kann man heute eine handfeste Regierungskrise erleben, vielleicht mehr noch, eine Verfassungskrise, „crise de régime“ nennt es Millon, das dürfte ungefähr in der Mitte sein.
Allein, in der Demokratie gebe es eben keine Feinde, nur Gegner, fügt Millon an. Die Niederlage des RN sei nichts weiter als „die Folge der Manipulationen, denen sich die politischen Parteien unter dem Druck des Präsidenten hingaben“. Kurzum: Was De Gaulle verhindern wollte, ein faktisch unregierbares Frankreich, das hat Macron aus eigener Willenskraft erschaffen.
Schwester Samuel Patys klagt die Mitverantwortung der Republik ein
Weiter geht indessen, ob mit oder ohne macron-freundliche Regierung, die Misswirtschaft mit einem ganzen Land. Am 15. März dieses Jahres hat Mickaëlle Paty den französischen Staat aufgefordert, seine Mitverantwortung für das tödliche Attentat vom 16. Oktober 2020 auf ihren Bruder, Samuel Paty, anzuerkennen. Kurz zuvor hatte ein Senatsbericht festgestellt, dass die „Schule der Republik in Gefahr“ sei. Der Bericht beklagte die „Einsamkeit der Lehrer“ gegenüber dem radikalen Islam.
Einen Punkt lässt Mickaëlle Paty und ließen anscheinend auch die Senatoren, pflichtschuldig, beiseite: Die diversen französischen Regierungen haben neben der konkreten Schutzpflicht in den Tagen nach dem Karikaturen-Aufsehen um Paty auch über Jahre hinweg ihre Verantwortung bei der Kontrolle der Zuwanderung verletzt. Denn der Attentäter, der Patys Kopf vom Rumpf trennte, war ein Tschetschene, der wohl gar nicht in Frankreich sein hätte dürfen. Die so gelagerten Fälle dürften mehr werden angesichts des klammheimlichen Machtzuwachses der Linken, bis in deren radikale Ränge hinein, die einem schwindsüchtigen Präsidentenlager zum Machterhalt dienen.
In Frankreich passiert damit etwas ähnliches wie in anderen Ländern (man denkt an das Vereinigte Königreich, die germanischen Länder, aber auch andere), in denen ein linkes Establishment regiert, egal ob durch NGOs oder Parteien, hierzulande auch Kirchen, und es ist dabei egal, wie es seine Macht erworben hat. Einmal gewonnen, wird der Einfluss auf wichtige Schicksalsfragen der Nation gewahrt und mit Krallen festgehalten, die anscheinend keine Volkswahl lösen können soll.