Wenn man es mit dem Schreiben eines Vampirthrillers zu nichts bringt, dann schreibt man eben schmachtende SM-Romane für tendenziell frustrierte Hausfrauen. Spießig, piefig. Man wählt eine junge Protagonistin, deren Nachname nicht nur zufällig Ähnlichkeit mit dem der größten amerikanischen Kitsch-Autorin Danielle Steel hat, stopft dann noch einen geglätteten Abklatsch von Mickey Rourke aus „9 1/2 Wochen“ dazu und fertig ist die zeitgeistige Peitsch-und-Fessel-Trilogie vor ästhetisch kühl gestylter Hochglanzkulisse – angerichtet ist der Kinohit „50 Shades of Grey“ bzw. „50 Shades Darker“. Dabei ging es in früheren Filmen besser zur Sache, härter sowieso und geistreicher noch dazu.
Denn natürlich ist unter den 50 Ideen keine einzige richtig neue. Ok, ich gebe es zu, ich ärgere mich. Wäre ich mal selbst auf diese neuverquirlte (dabei aber leider) plump bleibende Story gekommen. Es gibt offensichtlich so viele geheime Sehnsüchte und Wünsche sexuell unterversorgter Frauen – immer wieder. Dann würde ich mich jetzt auf dem Weg zu meinem Dritthaus befinden und dort eine wilde und lautstarke Party auf der Veranda inmitten der Hollywood Hills feiern, denn die anschließende Klage wegen Lärmbelästigung und Erregung öffentlichen Ärgernisses (nackte Flitzer im Garten) könnte ich locker aus der Portokasse berappen – und mit dem öffentlichkeitswirksamen Skandal auch gleichzeitig mein neuestes Werk über die schüchterne Buchhalterin Philomena Platinum und ihren aufkeimenden Überwachungs- und Kontrollfetisch bewerben. Aber dazu bräuchte man völlige Schamlosigkeit – den Mut zum Plagiat, und zwar bis ins Detail.
E.L. James, die Mutter des neuen Greys, hatte zunächst die Vampir-Romane einer anderen gelangweilten Hausfrau (Stephenie Meyer, „Twilight“-Reihe, die sich wiederum bei Charlaine Harris hat inspirieren lassen, „Sookie Stackhouse“ bzw. „True Blood“ Autorin, Sie erraten es: ebenfalls gelangweilte Haus…) in der Form von Fan-Fiction fortgeführt, mit sehr mäßigem Erfolg. Der kam erst, als sie sich in weiteren fremden Kochtöpfen bediente. Man angle sich für den Anfang schon mal zwei Nachnamen, von denen einer der bekanntesten amerikanischen Kitsch-Autorin Danielle Steel (Pseudonym) gehört und der andere von E. Edward Grey stammt, dem männlichen Hauptdarsteller aus „Secretary“. Und wenn man dann schon mal bei der Story von „Secretary“ ist, dann langfingert man da eben auch einfach noch etwas mehr raus.
„Secretary“ stammt aus dem Jahr 2002 und verfügte im Gegensatz zum fesseligen Schmachtfetzen „50 Shades of Grey“ nicht über das hohe Budget (etwa 4 Mio im Vergleich zu 40 Mio Dollar, IMDB.com). Aber bekanntermaßen macht ein höheres Budget nicht wirklich den besseren Film (7.1/10 zu 4.1/10 Sterne, IMDB.com). Das trifft auch in diesem Fall zu.
In „Secretary“, einem kleinen, sehr fein erzählten Film, spielt James Spader den Rechtsanwalt E. Edward Grey. Allein die Anfangszene von „Secretary“ steckt „50 Shades of Grey“ bereits im ganzen auch direkt 50 Mal in die Tasche. Man beobachtet die Sekretärin Lee Holloway (Maggie Gyllenhall) dabei, wie sie elegant durch das Büro gleitet. Sie trägt ihr offenes Haar sehr locker zusammengesteckt, ist in eine weiße Seidenbluse und einen schwarzen Bleistiftrock gekleidet. Sie gießt eine Tasse Kaffee ein, sie tackert ein paar Papiere aneinander. All diese Tätigkeiten führt Lee unter Zuhilfenahme ihres Mundes durch. Denn ihre Hände stecken in Fesseln, die an den Enden einer geraden, langen schwarzen Stange befestigt sind, ihre Arme nach beiden Seiten ausgestreckt – den Hals dabei in einem ebenfalls an der Stange fixierten Halsband. In jeder ansonsten so einfach ausführbaren Bewegung wird sie dadurch behindert – moment, oder etwa doch nicht? Die Tasse in der einen Hand, die Papiere in der anderen, macht sie sich auf den Weg in das Büro von E. Edward Grey. Sie schwebt durch den Flur. Und der Zuschauer ertappt sich dabei, dass ihm während der Eröffnungsszene die ganze Zeit der Mund offen stehen bleibt.
Da schreitet eine Frau durch den Flur, mit einer Stärke und einer Ausstrahlung, die überrascht. Und die Entwicklung fällt nicht vom Himmel wie eine Studentin zufällig im Büro eines von der Welt mißverstandenen Milliardärs aufschlägt. Das Original zeigt eine Entwicklung, aus der es kaum ein Entrinnen gibt. Hier geht es nicht ums Zuschlagen, sondern ums Verstehen. Und damit wird die Sache zwingender. Die Bilder sind nicht beliebiger Porno, sondern Konsequenz und damit umso unerbittlicher. Und gleichzeitig wächst das Absurde. Der Film zeigt Distanz. Das ist etwas, was der Neufassung völlig fehlt – Distanz. Millionen deutscher Hausfrauen, an ihre Betten von Möbel Müller gefesselt, und Vati schwingt das Paddel – was für eine Vorstellung! Der Film gerät zur Lachnummer. (Mitunter auch darüber, wie E.L. James denkt, dass ein Milliardär und Vorstandvorsitzender im Geschäftsleben agiert.)
Anders das Original. Der Film zeigt den Weg von einem zerbrechlichen, labilen und schüchternen jungen Mädchen hin zu einer starken, selbstbewussten Frau, die durch Unterwerfung gleichermaßen Befreiung und Halt erfährt. (Auch hier hat sich E.L. James Inspiration „geholt“.) Darüber, wie Lee Holloway schlaksig in diese Welt hineinstolpert, um dann genau diejenige zu werden, die trotz Unterwerfung die Oberhand hat – und führt. Grey schreckt immer wieder davor zurück, weiter zu gehen, noch mehr abzuverlangen. Mehrfach versucht er das Abhängigkeitsverhältnis, das Wechselspiel aus Dominanz und Unterwerfung, an dem die beiden gleichermassen Freude und Erfüllung finden, zu beenden. Er sagt erschüttert und vor sich selbst zurückschreckend: „Wir können das nicht 24 Stunden machen, sieben Tage die Woche.“ Und sie antwortet mit schwerem Seufzen: „Warum nicht?“
Die Rollen kehren sich um. Das Spiel wendet sich gegen seinen Erfinder. Es entgleitet ihm und gewinnt eine reale Dynamik.
„Secretary“ kommt ganz ohne den Glitzer und Glamour amerikanischer Metropolen aus, ohne viele Darsteller, ohne den angeranzten Schmodder der hermetisch abgeriegelten, luxuriösen HighClass Miliardärswelt.