Tichys Einblick
Konservative Machtpolitik fehlt

Angst fressen Rechte auf – Überlegungen zum neuen EU-Parlament

Die europäischen Bürger haben den Konservativen ein klares Mandat gegeben. Aber anstatt sich endlich zusammenzureißen und den endlosen Erklärungen über eine künftige Zusammenarbeit Taten folgen zu lassen, ergeht man sich in Distanzeritis. Wieso?

picture alliance/dpa | Philipp von Ditfurth

Der „Rechtsruck“ des neuen EU-Parlaments – ein echter Rohrkrepierer. Anstelle einer starken konservativen Gruppe, die endlich der linksliberalen Brandmauer Paroli bieten und ein echtes politisches Schwergewicht darstellen könnte, haben wir nun gleich drei Fraktionen, die einander misstrauisch beäugen, im Kern aber recht ähnliche Ziele verfolgen. Alle sind sie gegen Masseneinwanderung, alle verteidigen sie die klassische Familie, alle streiten sie gegen die Islamisierung Europas, alle wollen sie mehr Subsidiarität in die EU zurückbringen, alle lehnen sie die Extreme der LGBTQ- und Gender-Ideologie ab, alle wollen sie den Kontinent gegen seine zahlreichen Konkurrenten in der Welt der Multipolarität stärken, alle betrachten sie das Christentum als unverzichtbare Wurzel der abendländischen Identität, alle beäugen sie den modernen Milliardärssozialismus mit großem Misstrauen, alle stemmen sie sich gegen die Klimaapokalyptik, alle rufen sie zu mehr Stolz auf die nationale und die abendländische Geschichte auf – und die Liste ließe sich durchaus noch fortsetzen.

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Nun soll freilich nicht geleugnet werden, dass es bei der genauen Definition der gerade aufgezählten Punkte durchaus Differenzen gibt, ebenso wie auch im Empfinden ihrer jeweiligen Dringlichkeit. Zudem bestehen angesichts der Asymmetrie zwischen den europäischen Nationen ebenso wie zwischen den Stammwählerschaften der jeweiligen konservativen Parteien wesentliche Unterschiede im Bereich der Wirtschafts- und Schuldenpolitik Europas und den hiermit zusammenhängenden Kompetenzen. Doch auch die anderen großen Gruppen des EU-Parlaments sind durch oft beachtliche innere Divergenzen geprägt, ohne darum doch so stark zu zerfallen wie die Konservativen.

Das liegt sicherlich zum einen am ganz pragmatischen Wunsch, den Zugang zu den Futtertrögen der vielen attraktiven und einflussreichen Posten nicht zu verlieren, die immer noch das Reservat der großen Systemparteien sind, zum anderen aber auch daran, dass Ideologie wie Praxis der Linken, der Grünen, der Sozialdemokraten, der Liberalen und der Christdemokraten eine innere Vielfalt durchaus aushält und sich nicht zu schade ist, den einen oder anderen Ausreißer als „Einzelfall“ zu tolerieren. Ganz anders die europäische Rechte, die wie besessen ist von einem zentralen Gefühl: der Angst. In der Folge wollen wir uns diese Angst unter drei Grundaspekten einmal genauer anschauen.

Ein Teil dieser Angst ist zweifellos positiv zu werten: Angst vor dem Zerfall traditioneller Werte, Angst vor dem Verlust der Heimat, Angst vor dem sozialen Abstieg, Angst vor dem Aussterben des Glaubens, Angst vor dem Verschwinden der nationalen Identitäten, Angst vor der Überfremdung, usw. – ohne eine echte Angst vor diesen durchaus realen Zukunftsaussichten kann es auch keinen glaubhaften Antrieb geben, über Alternativen zum gegenwärtigen Zerfall zu reflektieren. Hier steckt aber bereits ein erstes Problem, denn viele Konservative sind wie verblendet durch ihre Angst und das Einsehen in die in der Tat wahrscheinlich nicht mehr umkehrbare Natur vieler der Veränderungen, denen das Abendland gegenwärtig unterliegt; und so erschöpfen sie sich denn in immer neuen Anläufen der Zeitkritik, ohne bis auf die implizite Aussage „Vorher war alles besser“ und eine rührselige Idealisierung früherer Zeiten etwas Konkretes zu bieten (wahlweise der Werteliberalismus der 1980er, die fetten Jahre des Wirtschaftswunders, die stolze Machtpolitik des 19. Jahrhunderts, die Legitimität des „Ancien régimes“ vor der Französischen Revolution oder gar die Frömmigkeit des Mittelalters).

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Sicherlich: Probleme zu benennen, bietet meist mehr Möglichkeiten zur Konsensbildung als konkrete Lösungen zu skizzieren; die Einfallslosigkeit der meisten konservativen Wahlprogramme ist aber trotzdem beängstigend. Angst ist ein schlechter Ratgeber, wenn sie nicht eng verbunden ist mit dem positiven Wunsch nach etwas Neuem.

Dann wäre da als zweite zentrale Angst der Konservativen die vor der eigenen Machtlosigkeit, die sich ganz zentral im Ukrainekrieg äußert, den ich bei der obigen Aufzählung der Übereinstimmungen und Divergenzen zwischen den Rechten bewusst ausgelassen habe, wie der Leser sicherlich gemerkt hat. Was hat der Ukrainekrieg nun mit „Angst“ zu tun? Blickt man auf die beiden Antworten, die meistens auf der rechten Seite auf den gegenwärtigen Krieg gegeben werden, stellt man fest, dass die Parteinahme für die russische Sache auf der einen Seite und die transatlantische auf der anderen meist kaum von dem Wunsch begleitet ist, dauerhaft der einen oder anderen anzugehören: Nur die wenigsten Konservativen würden gerne langfristig in einem russisch oder selbst einem amerikanisch dominierten Europa leben.

Die Suche nach einem Bündnispartner entspringt eher dem Gefühl der eigenen Machtlosigkeit: Die Russophilen empfinden, dass nur Putin und eine militärische Niederlage der Atlantiker Europa von der Abhängigkeit von den USA befreien kann, während die Atlantiker ganz im Gegenteil denken, dass nur der militärische Schutzschirm der USA den Kontinent vor einem russischen Überfall oder gar verstärkter chinesischer Einflussnahme retten kann. Entsprechend unterstreichen die einen dann die „traditionale“ Facette Russlands, während die anderen die woke Unterwanderung der USA leugnen, und ignorieren gerne neben den offensichtlichen Schwächen des Lieblingsbündners, dass weder der eine noch der andere ein echtes Interesse an einem starken Europa haben kann und nichts dafür tun wird, seine Erstarkung über den Punkt hinaus zu fördern, wo der Kontinent auf eigenen außen- und militärpolitischen Beinen stehen könnte.

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Wie die realpolitische und kulturelle Präferenz des Autors dieser Zeilen ausfällt, ist hier nicht der entscheidende Punkt, sondern vielmehr die Beobachtung, dass auch in dieser Frage eindeutig Angst und Negativität alle Argumente vergiften und erheblich mehr Aufwand in den Enthusiasmus gesteckt wird, den einen der beiden Nachbarn zu verteufeln bzw. den anderen zu idealisieren, als jenseits dieser Präferenzen eine echte außen- und militärpolitische Linie zu skizzieren, die zwar eine kluge und strategische Schaukelpolitik umfasst, aber allem voran auf dem Wunsch nach einem ebenso geeinten wie starken Europa gegründet ist. Wer vor lauter Angst vor den starken Nachbarn glaubt, ihm bliebe nur die halbwegs freiwillige Wahl des Hegemons, muss sich nicht wundern, wie ein Lakai behandelt zu werden. Die Rechte braucht ein glaubwürdiges Sofortprogramm zur Stärkung eines unabhängigen Europas, nicht geopolitisches Raunen.

Und schließlich ein dritter Punkt: die Angst vor den Medien. Denn ein wesentlicher Grund der beständigen „Abgrenzung“ der Konservativen voneinander, die schließlich zu ihrer tragischen Aufsplitterung in die drei Gruppen des EU-Parlaments geführt hat, ist die Furcht vor der Medienschelte und der möglichen Abwendung der Wählergunst. Diese Furcht ist nicht unbegründet, denn immer noch ist es so, dass selbst konservative Bürger bei ihrem Versuch, rechte Parteien anderer EU-Länder besser zu verstehen, fast ausschließlich auf die Leitmedien des eigenen Landes angewiesen sind, da konservative Medien immer noch spärlich gesät und meist eher an der eigenen Innenpolitik als an ausländischen Randparteien interessiert sind.

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So weiß der AfD-Wähler über den „Rassemblement National“ vor allem nur das, was die deutschen Leitmedien von den französischen Leitmedien abschreiben, und dasselbe gilt natürlich auch andersherum. Wie glaubwürdig das Resultat ist, kann man sich denken. Will sagen: Man hat mit der eigenen Selbstrechtfertigung und dem Ringen um eine halbwegs gerechte Behandlung im jeweils nationalen Parteiengefüge schon so viel zu tun, dass man nicht auch noch die Entdämonisierung der konservativen Parteien im Ausland betreiben kann und daher das allgemeine Narrativ zunächst einmal bestehen lässt.

Dies ist aber meines Erachtens ein zwar verständlicher, aber schwerer Fehler, denn da der Druck auf die Rechte zu nicht unwesentlichen Teilen mit „internationalen“ Instrumenten ausgeübt wird (EU, IWF, UNO, Rating-Agenturen, internationale Gerichtshöfe, etc.), muss der Gegendruck logischerweise auch auf derselben Ebene agieren können und der Kampf gegen den universalistischen Brüsseler Europäismus entsprechend eine abendlandpatriotisch-hesperialistische Komponente aufweisen. Anstatt Abgrenzung sollte man daher besser den Schulterschluss suchen – was freilich freundschaftliche Ermahnungen, interne Dispute um die beste Strategie oder die Ausgrenzung offensichtlicher Spinner nicht ausschließt.

Insgesamt also: Angst ist immer ein schlechter Ratgeber, und wollen die europäischen Konservativen endlich jene Rolle ausüben, die ihnen eine immer steigende Zahl der Wähler zuzudenken scheint, wäre es höchste Zeit für etwas Mut und die Beherzigung der Habsburgischen Devise „Viribus unitis“!

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