Tichys Einblick
Elon Musk und X gegen die EU

Thierry Breton: Fahnenträger im Krieg der Milliardäre

Thierry Breton geriert sich als Anti-Musk. In Wirklichkeit überschatten den EU-Kommissar Interessenkonflikte und der Vorwurf, die digitalen Vorschriften sollten die eigenen Telekommunikationsdienste unterstützen. Dass die Rechte dabei zensiert werden soll, dient Geschäft und Politik.

picture alliance/dpa/MAXPPP | Olivier Corsan

Millionär gegen Milliardär. Wenn vom merkwürdigen Krieg zwischen EU-Kommissar Thierry Breton und X-Mehrheitseigner Elon Musk die Rede ist, dann fällt dieser ungleich aus. Nicht nur in der Methode und Stellung, sondern auch in der Berichterstattung. Was man von Musk zu halten hat, das breitet die Presse jeden Tag aus: er ist eine Interimsfigur des guten Hasses bis zur Amtsübernahme von Donald Trump. Von Musk kennen wir jeden „Fehlschlag“ bei X, jede Misere bei Tesla, Anwürfe von Größenwahn und Vorwürfe der Hofierung von rechtsextremen Hetzern.

Breton, reicher Diener der Superreichen

Beachtlich ist, in welchem Kontrast dazu die Personalie Breton steht. Das fängt beim Vermögen an. Wie viele deutsche Leser und Zuschauer wissen, dass Breton ein Multimillionär ist? Vorsichtige Schätzungen gehen von 200 bis 250 Millionen Euro aus. Einige Jahre lang galt Breton sogar als möglicher Nachlassverwalter von Bernard Arnault, sollte dieser sterben. Arnault wechselte sich in der Vergangenheit mit Jeff Bezos und Musk darum ab, wer den Titel „reichster Mann der Welt“ tragen darf.

Breton gehört deswegen zu einem Kontext, zu dem Arnault ein Schlüssel ist. Der französische Unternehmer führt derzeit mit 233 Milliarden US-Dollar die Forbes-Liste an. Er steht dem Luxusgüter-Konzern LVMH vor, deren bekannteste Marke Louis Vuitton ist. Arnault war Trauzeuge von Nicolas Sarkozy und später ein erklärter Fürsprecher von Emmanuel Macron. Seine Tochter Delphine ist mit Xavier Niel verheiratet, einem Mogul der Kommunikationsbranche, der neben Anteilen an zahlreichen Unternehmen der Branche auch mehrheitlich an der Zeitung Le Monde beteiligt ist.

Es ist dieselbe Branche, in der auch Breton vor seinem politischen Leben tätig war. Er war Vorsitzender beim IT-Unternehmen Bull, anschließend bei Thomson und von 2002 bis 2005 bei France Telecom. Vorstandsmitglied war er auch bei AXA, La Poste, Dexia, Rhodia, Schneider Electric, Carrefour und Orange. 2005 wurde er Minister für Wirtschaft, Finanzen und Industrie unter den Premierministern Jean-Pierre Raffarin und Dominique de Villepin. Gemäß Bretons Auskunft habe ihn Staatspräsident Jacques Chirac darum persönlich am Telefon gebeten.

Was Breton mit Arnault und Niel vereint: sie alle sind heute Pfeiler jener „Macronie“, die Frankreich auf Kurs hält. Dass es das Netz der frankophonen Elite aus Finanz- und Großkonzernen ist, die Macron als einem der ihren die Stange hält und dessen Sammlungsbewegung „En Marche“ monetär unterstützt hat, um ihn in den Sattel zu heben, geht als Gerücht schon länger um; Macron wiederum hat Breton in den Sattel des EU-Kommissars gehoben.

Die Motive sind dabei offensichtlich. Ein national gesinntes Frankreich, eines, das Zweifel am Euro und am Stabilitätspakt hat oder die EU in ihrer jetzigen Verfassung infrage stellt, ist ein Alptraum für die Finanzelite. Der Bretonismus ist also die EU-Spielart der französischen Macronie, sie soll den europäischen „Ungeist von Rechts“ ersticken. Nur so kann man auch die Verbissenheit des Kampfes zwischen EU und Musk in Gänze verstehen. Auch deswegen könnte man sich in Frankreich noch eines Mannes wie Raphaël Glucksmann bedienen, um in der wiedererstarkten Linken einen Ansprechpartner aufzubauen.

Ähnlich wie bei den Karrieren von NGO-Aktivisten zeichnet sich der Drehtür-Charakter von Bretons Karriere ab. Nachdem er 2007 zugunsten von Jean-Louis Borloo aus dem Amt geschieden war, wurde er im November 2008 Vorsitzender des IT-Dienstleisters Atos. Der Konzern betätigt sich auf den Feldern der Unternehmensberatung, Cybersicherheit, Cloud-Sicherung und Big Data. Dort blieb er bis zu seiner Berufung als EU-Kommissar 2019.

Befangenheit und eigene Geschäftsinteressen

Damit klärt sich auch die Frage, wieso ein EU-Kommissar für den Binnenmarkt sich derartig oft Twitter- und X-Duelle mit Elon Musk liefert. Denn die Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien untersteht diesem EU-Kommissar, nachdem es keinen Kommissar mehr für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft gibt.

Womit wir bei der Crux wären. Denn während Musk jeder Fehlstoß und jeder Eigennutz unterstellt werden, sieht man leichtfertig darüber hinweg, dass Thierry Breton als EU-Kommissar auf einem Feld agiert, bei dem er aufgrund seiner eigenen Vergangenheit höchst befangen ist. X muss mit Regeln geknechtet werden. Breton selbst dagegen steht über jedem Zweifel erhaben, dass er in seinem Amt möglicherweise seine eigenen Geschäftsinteressen durchsetzen könnte.

Dass Atos noch unter Bretons Vorsitz eine Partnerschaft mit Google einging, ist ein weiterer delikater Aspekt. Der X-Konkurrent ist bis heute ein gern gesehener Gast in Brüssel. Bei den Lobbytreffen findet er sich unter den Top 10 der Konzerne. X gehört dagegen nicht dazu. Mittlerweile befindet sich Atos in der Krise, sogar vom Bankrott war zeitweise die Rede. Die französische Regierung hat bereits angekündigt, Atos „nicht fallen“ zu lassen. Die Sparte Eviden ist für die Cybersicherheit bei den Olympischen Spielen in Paris zuständig. 2018, ein Jahr vor Bretons Antritt als Kommissar, erhielt Atos allein 107 Millionen Euro von der EU-Kommission und ihren nachgeordneten Behörden. Auch die EU hat, ähnlich wie die französische Regierung, Aufträge im Bereich der Cybersicherheit an Atos vergeben.

Kaum im Amt forcierte Breton den mittlerweile berüchtigten Digital Services Act, damals noch unter dem Namen „Digital Networks Act“ eines seiner geistigen Kinder, das den Kommunikationsmarkt im Sinne jener Telekommunikations- und IT-Branchen regulieren sollte, denen der Franzose früher selbst vorgestanden hatte. Schon damals skizzierte er die Rolle von „europäischen Champions“; wobei jedem Beobachter klar sein musste, dass er offenbar die eigenen Weggefährten im Augen hatte. Für Außenstehende mag es um Freiheit im Netz gehen, für einen inneren Zirkel jedoch vor allem um das Wegbeißen von Konkurrenz und der Wahrung der eigenen Stellung.

Interessenskonflikte lähmen das digitale Europa

Das, was Breton vom ersten Tag zeichnet, sind demnach Interessenkonflikte. Weil sich nahezu sämtliche Tätigkeitsfelder seiner Behörde mit denen seines Ex-Unternehmens überschneiden, hatte es schon zuvor Kritik gegeben. Bereits vor seinem Amtsantritt hatte er sich persönlich mit dem damaligen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker getroffen. Treffen, die in ihrer Brisanz dem SMS-Austausch einer Ursula von der Leyen mit Pharmakonzernen in nichts nachstehen.

Aber einen Interessenkonflikt konnte bis zuletzt niemand in der EU-Kommission erkennen, auch nicht, als Breton mit solchen Vorwürfen zu Beginn seiner Amtszeit im EU-Parlament konfrontiert wurde. Seit Jahren hört man stattdessen das Hohelied auf die Expertise von Breton. Erinnerungen an einen deutschen Staatssekretär mit grüner Lobby-Erfahrung eines nicht ganz unbekannten Thinktanks werden da wach. Die Schemata sind immer dieselben. Auch hier darf man sicher sein: sollte Breton in der neuen Kommission keine Rolle mehr spielen, wird man ihn mit Sicherheit an anderer Stelle wiederfinden. Im Krieg der Milliardäre gibt es schließlich immer wieder neue Fronten.

Anzeige
Die mobile Version verlassen