Tichys Einblick
Kindergrundsicherung gescheitert

Christian Lindner wischt grünen Herzenswunsch vom Tisch

Finanzminister Christian Lindner hat den grünen Plänen für eine „Kindergrundsicherung“ eine Absage erteilt. Zwar gebe es mehr Geld für Eltern, aber die geplante Reform bleibe aus – auch weil die zuständige Ministerin Lisa Paus Murks gemacht hat.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Die aktuelle Sommerpause hat im Berliner Regierungsviertel gerade begonnen. Die letzte Pause beendeten Christian Lindner (FDP) und Lisa Paus (Grüne) im August mit einer gemeinsamen Pressekonferenz. Die Koalition habe sich geeinigt: Die „Kindergrundsicherung“ komme. Elf Monate später räumt der gleiche Christian Lindner diese Einigung wieder ab. Paus’ Pläne würden zumindest bis zur nächsten Bundestagswahl nicht umgesetzt, sagte der Finanzminister gegenüber dem RND: zu teuer, zu kompliziert. Es gebe lediglich ein wenig Geld mehr für als bedürftig geltende Eltern.

Das Kindergeld für alle erhöht die Ampel um 5 Euro im Monat. Das hat sie im Zusammenhang mit der „Wachstumsinitiative“ mitgeteilt. Als bedürftig geltende Familien sollen zum Jahreswechsel nun auch einen höheren „Kinderzuschlag“ erhalten.

Die Rede ist von 5 Euro im Monat. Eine weiter reichende Reform werde es nicht geben, kündigte Lindner an. Mit der Kindergrundsicherung sollten die Eltern in einem einfacheren Verfahren sämtliche staatlichen Leistungen wie Kindergeld erhalten. Und weil das Verfahren einfacher sei, verlangte Familienministerin Paus dafür mehr Geld, eine zusätzliche Behörde und 5000 weitere Mitarbeiter – was ein früher Hinweis darauf war, dass das mit dem Vereinfachen des Verfahrens nicht zu hundert Prozent funktioniert hat.

Die Grünen wehren sich gegen Lindners Vorstoß. Einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, Andreas Audretsch, sagte der Nachrichtenagentur Reuters: „Mit Unterstützung von Familienministerin Lisa Paus haben wir Grüne im Bundestag den Vorschlag unterbreitet, bei der Einführung in zwei Stufen vorzugehen.“ Die Fraktionen würden die Details noch beraten. Auf jeden Fall komme die Kindergrundsicherung aber wie geplant im nächsten Jahr – vor der Bundestagswahl.

Die Reaktionen auf Twitter zeigen, dass die Grünen auf Lindners Vorstoß nicht vorbereitet waren. Anders als nach Annalena Baerbocks „Verzicht auf die Kanzlerkandidatur“ fehlte ihnen am Freitagmorgen eine einheitliche Sprachregelung. Die Bundestagsgruppe der Linken wies darauf hin, dass es schon seit langem absehbar gewesen sei, dass die Ampel keine Kindergrundsicherung liefere. Der Zuschlag auf das Kindergeld gleiche nicht einmal die Inflation aus: „Diese Regierung ist an ihren eigenen Ansprüchen krachend gescheitert.“

TE hatte schon im vergangenen Jahr über die Geburtsfehler der Kindergrundsicherung berichtet. Mit dieser versprach die Ampel den Eltern, dass sie alle möglichen staatlichen Leistungen einfacher erhalten sollten – und das gebündelt aus einer Hand. Obendrein sollte die Kindergrundsicherung auch ein Grundeinkommen für Kinder sein. Sie sollten eine Art staatliches Gehalt beziehen, auch wenn ihre Eltern nicht arbeiten.

Ideologisch ist die SPD in Sachen Kindergrundsicherung durchaus bei den Grünen. Doch die von der ehemaligen Parteivorsitzenden Andrea Nahles geführte Agentur für Arbeit wies früh auf das organisatorische Chaos hin, das die zuständige Ministerin Paus mit dem Gesetzesentwurf verursachte. Der Chef der Familienkasse, die bisher für die Auszahlung des Kindergelds zuständig und in der Agentur angesiedelt ist, Karsten Bunk musste gehen, weil er Paus’ Kindergrundsicherung öffentlich verteidigte. Er hatte in einem Interview 300 neue Beratungsstellen sowie rund 2000 neue Mitarbeiter gefordert. Zuletzt sollten 5000 neue Mitarbeiter notwendig sein.

Familienministerium wie Agentur für Arbeit scheitern mit der Kindergrundsicherung an einem der größten deutschen Übel: der dysfunktionalen Bürokratie dieses Landes. Die Verwaltung scheitert an der Digitalisierung. Und sollen deutsche Verwaltungsbeamte Verfahren vereinfachen, sind die danach um ein zigfaches komplizierter. Eine Bundesregierung, die in Auflagen und Detailregelungen verliebt ist, vergrößert das Problem noch.

Schon vor Lindners Kritik räumte Paus öffentlich ein, dass sie die Kindergrundsicherung im nächsten Jahr nicht einführen könne. Sie sprach von verschiedenen Schritten, in die das Projekt unterteilt werden solle und von denen die ersten 2025 kommen sollten. Anfragen, wann was passieren solle, ließ Paus’ Ministerium unbeantwortet. Ihre Chefin und Christian Lindner waren in die Saison 2023/24 mit der Botschaft aufgebrochen, die Ampel sei jetzt einig, leistungsfähig und gehe ihre Ziel an. Am Ende der gleichen Spielzeit steht die Erkenntnis, dass die Ampel auf ganzer Linie gescheitert ist.

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