Nach Jahrzehnten der Abrüstung und der üppigen Verteilung der Friedensdividende kehrt die militärische Konfrontation nach Deutschland zurück. Deutschland ist aufgrund eines expansiven und konfrontativen Russland wieder zur Verteidigungspolitik gezwungen. Die deutsche Politik wird durch die angespannte Situation mit dem östlichen Riesen auf dem falschen Fuß erwischt. Die Bundesregierungen der letzten zwei Dekaden haben die Verteidigungspolitik sträflich missachtet. Eine heruntergewirtschaftete Armee und eine junge Generation, für die der Wehrdienst eine absolute Ausnahmeerscheinung ist, müssen auf einmal wieder kriegstauglich sein.
Immerhin hat der aktuelle Verteidigungsminister die Lage erkannt und handelt. Deutschland bekommt neue Langstreckenraketen und Marschflugkörper aus den USA für seine Landesverteidigung. Dieser Schritt dürfte in dem auf Abrüstung bedachten Teil der Gesellschaft auf große Ablehnung stoßen. In der Gesellschaft kommt es also wieder zur Blockbildung, so wie im Kalten Krieg. Auch in der Illner-Sendung stehen sich zwei Blöcke unversöhnlich gegenüber.
Allerdings besteht ein Block allein aus Sahra Wagenknecht und die übrigen Gäste bilden den anderen. Es entsteht keine pluralistische Debatte, die viele gesellschaftliche Perspektiven einbezieht. Ein Format von „Alle gegen eine“ ist auf die Dauer ziemlich öde. Zumal die Wagenknecht-Thesen durch ihre dauerhafte TV-Präsenz bis ins Kleinste hinein besprochen sind. Für den Zuseher eine ermüdende Talkrunde ohne neue Erkenntnisse.
Mehr Raketen für Deutschland
Obwohl spätestens seit der einseitigen Kriegserklärung Russlands an die Ukraine klar sein sollte, dass die Aggression vom Kreml ausgeht, hält Wagenknecht an ihrer Nähe zu Russland fest. Sie ist damit erfolgreich. Geschickt findet sie Anknüpfungspunkte aus Zeiten der Friedensbewegung, die sie für ihre Politik übernimmt. Der Gegner steht für sie im Westen und starrt vor Waffen. Die bösen Amerikaner ziehen die Deutschen aus Sicht der früheren Kommunistin in einen Krieg mit Russland. „Wenn wir uns nicht aus dem Krieg heraushalten, werden wir zur Kriegspartei“, erklärt sie. Diesen Ansatz übernimmt Wagenknecht aus der Denkschule des Kreml und verschließt den Blick auf die Realität. „Diese Waffen sind zum Schutz“, meint die Politologin Claudia Major. Denn die Russen haben an der Ostseeküste rund um Kaliningrad schon längst ihre Marschflugkörper installiert. Major folgert: „Die Nato muss auf diese Bedrohung reagieren.“
Grüner Sozialstaat wird zum Sicherheitsrisiko
Die Gründung der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg und die Westbindung zählen zu den Sternstunden der deutschen Politik. Dank der visionären Politik von Konrad Adenauer wurde das geteilte Deutschland während des Kalten Krieges nicht zwischen den Blöcken zerrieben. Für das Nachrichten-Urgestein Claus Kleber ist die Nato daher als Glücksfall für die Bundesrepublik zu betrachten. „Deutschland ist der größte Profiteur der Nato“, sagt Kleber. Für den Journalisten ist klar, dass Deutschland als Mitglied seiner Verantwortung gerecht werden muss. Deutschland dürfe nicht nur profitieren, sondern müsse auch seinen Beitrag leisten, so Kleber. Doch Sicherheit hat seine Kosten.
Grünen-Chef Omid Nouripour wittert durch die gestiegenen Verteidigungskosten eine Chance, um endlich die Schuldenbremse loswerden zu können. „Wir müssen die Schuldenbremse reformieren“, findet der Frankfurter. Natürlich schwebt Nouripour vor, dass für jede Milliarde, die in Verteidigung fließt, auch eine in den Sozialetat fließt. Niemand soll zu kurz kommen. Allerdings ist Christian Lindner Finanzminister und pocht auf die Schuldenbremse.
Weil die Grünen aber der Verteidigung bei den Haushaltsverhandlungen keine große Priorität eingeräumt haben, muss Boris Pistorius mit weniger Geld auskommen, als er sich für die Truppe wünscht. „Wir hätten an anderer Stelle ganz viel sparen müssen“, gibt Nouripour zu. Bei Flüchtlingen, Bürgergeld und Rente wollten die Grünen nicht sparen. Obwohl sie den kommenden Haushalt gern in der Öffentlichkeit als Sparhaushalt deklarieren. So wurde der Etat für die Bundeswehr gestutzt.
Was wird aus der Nato nach der US-Wahl?
Die USA dominieren die Nato seit ihrer Gründung. Ohne die militärische Stärke der USA wäre das westliche Verteidigungsbündnis in seiner heutigen Form nicht denkbar. In diesem Jahr finden Präsidentschaftswahlen in den USA statt. Sahra Wagenknecht charakterisiert die beiden Kandidaten: „Es ist eine Wahl zwischen einem Dementen und einem Unzurechnungsfähigen.“ Wie es für die Nato nach der Wahl weitergeht, wird darauf ankommen, ob es Trump, Biden oder ein Biden-Ersatz wird.
Man kann sich bei Trump auf nichts verlassen. Gegner hätten es in jedem Fall schwerer, die Nato zu berechnen. Ohne jeden Zweifel ist, dass Deutschland die USA und ihre immense militärische Stärke nicht ersetzen könnte. Die Bundesrepublik braucht den amerikanischen Schild als Stütze in der Verteidigung. Was die öffentlich-rechtlichen Sender in ihren Talkshows in jedem Falle ersetzen sollten, ist die eindimensionale Gästeauswahl. Statt der üblichen Dauer-Talker wären neue Köpfe und Meinungen eine willkommene Abwechslung im Dickicht des altbekannten Meinungsdschungels.