Wort vorab: Der Autor dieser Zeilen ist selbst Absolvent einer renommierten Abteilung für Alte Musik und war sowohl als professioneller Musiker, als auch als Musikmanager und künstlerischer Leiter eines Alte-Musik-Festivals tätig. Die in diesem Artikel geäußerte Ansicht mag nicht populär sein, basiert aber auf langjähriger Erfahrung in der Kulturbranche.
Es ist nicht häufig, dass Umstrukturierungen an deutschen Musikhochschulen bundesweit Schlagzeilen machen. Dieses Kunststück vollbrachten diesmal aber einige Studenten an der Abteilung für Alte Musik der Musikhochschule in Weimar, die eine vielbeachtete Petition ins Leben riefen, um gegen die Schließung des Instituts zu protestieren. Zahlreiche Prominente der Alte-Musik-Szene unterzeichneten, selbst der ansonsten nicht wirklich Alte-Musik-affine Geigenbeau David Garrett gehörte zu den knapp 30.000 Unterzeichnern, doch vergebens: Die Abteilung für Alte Musik soll bis 2031 abgewickelt werden, ab 2026 werden keine neuen Studenten aufgenommen.
In der öffentlichen Debatte wurde dabei vor allem der finanzielle Aspekt thematisiert. Mit gegenwärtig 24 Studenten am Institut für Alte Musik ist die Atmosphäre dort zwar intim, aber auch kostenintensiv, da neben den Hauptfächern auch eine Reihe von Nebenfächern angeboten werden müssen. Nur 7 Bewerber gab es heuer, es läuft also auch nicht Sturm an der Alte-Musik-Abteilung in Weimar, auch wenn Studenten und Absolventen betonen, dass viele Musiker der Alten-Musik-Szene in Deutschland ihre Ausbildung in Weimar erhalten hatten.
Während das linke Narrativ in den Medien vor allem die Zerstörung der Träume von Studenten aufgrund von Sparmaßnahmen ins Zentrum stellt, ist es am rechten Ende des Spektrums vor allem eine willkommene Gelegenheit mal wieder daran zu erinnern, dass man sich in Deutschland über 100 Genderlehrstühle leistet, nicht aber eine Abteilung für Alte Musik in Weimar.
Die Realität erreicht die Hochschulen
Dabei bleiben aber einige wichtige Aspekte außen vor. Einer der Aspekte ist zweifellos die Globalisierung der Ausbildungen. Denn nicht nur die Studenten kommen mittlerweile aus aller Herren Länder, sie wählen ihre Ausbildungsinstitute ebenso nach Rang und Namen aus. So tendieren viele Studenten, nachdem sie eine Erstausbildung in ihrer Heimat absolviert haben, zu einem der weltweit renommierten Ausbildungsinstitute für Alte Musik, ob nun die Konservatorien in Amsterdam oder Den Haag, oder die Schola Cantorum in Basel.
Man mag es bedauern, oder auch nicht, aber die Hochschule in Weimar spielt nicht in der Champions League solcher Spezialausbildungen, weshalb sich auch weniger Studenten für Weimar entscheiden, zumal diese auch nur zu gut wissen, dass die Auswahl des Ausbildungsinstituts bereits einen ersten wichtigen Schritt im Aufbau ihres Lebenslaufs und ihrer Karriere darstellt.
Das soll nebenbei nicht heißen, dass es keine guten Lehrer oder eine schlechte Ausbildung gab. Ganz im Gegenteil, einige sehr qualifizierte Dozenten unterrichten in Weimar, doch wenn Klassen nicht gefüllt werden können, steigt der wirtschaftliche Druck – nebenbei nicht nur in Alte-Musik-Abteilungen! Es stellt sich die Frage, ob es im Sinne der Sache ist, eine solche Ausbildung wirtschaftlichen Zwängen zu unterwerfen, doch die wirtschaftlichen Zwänge sind ohnehin schon seit Jahren eine Realität, bislang allerdings vor allem für die Studenten und Absolventen, die nach dem Verlassen der heilen Welt des Studiums plötzlich in einem Haifischbecken des meist selbstständigen Musikerdaseins landen, in dem wenig Bedarf für die sehr spezialisierten Fähigkeiten der Musiker besteht.
Indem diese Realitäten nun auch die Hochschulen treffen, wird der Prozess der Konfrontation mit der Realität lediglich vorgezogen. Dabei bleibt es selbstverständlich legitim die Frage zu stellen, ob der Erhalt der „musikwissenschaftlichen Genderforschung“, die in Weimar soeben ihr 20-jähriges Bestehen feiert, nicht doch ein besseres Einsparungspotenzial geboten hätte, als die Alte Musik. Aber während für das eine reichlich Fördergelder fließen, ist die Alte-Musik-Szene längst ihrer Kindheit entwachsen und muss nun zeigen, ob sie selbstständig schwimmen kann.
Geplatzte Versprechen, rechts wie links
Es ist nicht gänzlich unberechtigt, die Brutalität des Überlebenskampfes als Musiker dem Kapitalismus vorzuwerfen, bzw. der Vorstellung, man könne Kunst als ein marktwirtschaftliches Unternehmen betreiben. Kunst war im Laufe der Geschichte in den seltensten Fällen ein gewinnorientiertes Konzept, es war etwas, dass man sich leistete. Dafür bedurfte es des Mäzenatentums, das mit der Demokratisierung in letzter Instanz ebenfalls in Staatshänden landete. Die öffentliche Hand machte es möglich, dass mehr denn je Menschen ein professionelles Musikstudium absolvierten und danach in Orchestern landeten.
Doch dieser Prozess hat schon längst seinen Zenit überschritten. Orchester schließen bzw. reduzieren drastisch die Zahl der festangestellten Musiker. Wo früher noch der Traum von der Karriere an einer Musikhochschule Ansehen und Sicherheit versprach, kämpfen nun hochqualifizierte Musiker darum, als Lehrbeauftragte mit Zeitverträgen über die Runden zu kommen. Das Schwert schneidet allerdings in beide Richtungen, denn auch Hochschulen versuchen händeringend populäres Lehrpersonal an Land zu ziehen, sodass Shooting Stars der Szene häufig 3-4 (Gast-)Professuren in verschiedenen Ländern auf sich vereinen, während andere außen vor bleiben.
Der Markt regelt vieles, aber nicht eine gesunde Kunstwelt. Der kurzlebige Traum von der Hochkultur für Alle, der in marxistischen Arbeiterkonzerten Anfang des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte, ist ausgeträumt. Wer die Massen ansprechen möchte, tut dies mit Marvel-Filmen oder mit Walzerorchestern, nicht aber mit originalgetreuer Ausführung der Werke von Antoine Brumel.
Der Traum der Vorgängergeneration von der Hochschulkarriere hat aber auch noch einen anderen Nachteil: Denn als ab den 60er-Jahren die Studentenzahlen explodierten, wuchs auch die Belegschaft und solange diese noch nicht in Pension ist, muss sie beschäftigt werden. So ließe sich nicht ohne Zynismus festhalten: Wer heutzutage Musik studiert, tut dies nicht, um selbst später einen Job zu haben, sondern damit die Professoren von heute einen Job haben.
Die blinde Flucht in die Politisierung
Es ließe sich also durchaus Kritik an der Vorstellung vom „ewigen Wachstum“ des Kunstmarkts aufstellen, aber da Hochschulen nun im Endeffekt doch ein meist recht linker Haufen sind, spart die Kritik meist die eigenen heiligen Kühe aus und sucht die Antwort auf kapitalistische Mißstände in der Kunstwelt in immer weiterer Politisierung der Kunst.
Die Startseite der Webseite der Hochschule Weimar legt davon eindeutig Zeugnis ab. Neben dem bereits erwähnten Jubiläum der musikwissenschaftlichen Genderforschung begrüßt einen unter „Infos“ eine Nachricht zu „HfM gegen Machtmissbrauch“, sowie einen Link zu „weltoffenes Thüringen“ und einen weiteren – nur um sicherzugehen, dass die Welt auch wirklich offen ist – zu den „weltoffenen Hochschulen“. Da fällt es fast schon nicht mehr auf, dass das Selbstverständnis ein Sammelsurium hohler Phrasen wie „tolerant“, „grenzenlos“, „weltgewandt“ und „divers“ ist.
Viele Studenten und junge Musiker glauben darum fälschlicherweise, ihre Programme politisch aufladen zu müssen, um damit ein Publikum zu erreichen. Wobei: Sie haben insofern recht, als dass ihnen diese Politisierung den Zugang zu Fördermitteln, Medien und sogar Festivals eröffnet, da an all diesen Stellen mittlerweile Bürokraten das Zepter schwingen, die die anhaltende Darbietung von Kunst vergangener Zeiten lediglich durch die therapeutische Anpassung an die Gegenwartspolitik rechtfertigen. Nur ist irgendwann auch der tiefste Fördertopf leer. Und wenn dann das Hauen und Stechen um die verbliebenen Fördergelder beginnt, dürfte die Musik des 16. Jahrhunderts bei allen Verrenkungen einen schweren Stand gegen queersensible Hip-Hop-Darbietungen haben.
Neuverwurzelung in der Praxis als Rettungsanker
In einem Gastbeitrag in der FAZ schrieb Christiane Wiesenfeldt, Musikwissenschaftlerin und ehemalige Professorin in Weimar, von einer zunehmenden Verengung des Konzertkanons auf die Musik zwischen Beethoven und Mahler, die mit der Schließung einherginge. Diese Kritik ist legitim, zeichnet sich ja schon länger ab, dass diese Komponisten die letzten gewinnbringenden Bastionen des sturmumtosten Klassikmarktes darstellen.
Die Kritik greift aber insofern zu kurz, da Wiesenfeldt selbst Zahlen der Künstlersozialkasse anführt, die zeigen, wie schwierig sich die wirtschaftliche Lage freischaffender Musiker gestaltet. Es ist da nicht genug darauf zu verweisen, dass „die meisten von ihnen jederzeit wieder die Musik wählen würden“, denn von der Akzeptanz der beruflichen Aussichtslosigkeit bei Musikern ist es nur ein kleiner Schritt zu Forderungen nach der öffentlichen Hand, die diese Musiker auffangen müsse.
Denn an dieser Stelle scheint die Hochschule Weimar – bei aller berechtigten Kritik – auch einen richtigen Schritt zu machen. Laut dem – im besten Projektmanagerjargon betitelten – Entwicklungsplan „Step“ möchte die Hochschule nicht nur abbauen, sondern auch neue Angebote schaffen. Dabei sollen der musikpädagogische Bereich und die Ausbildung im Kulturmanagement ausgebaut sowie Musiktherapie als neue Studienrichtung angeboten werden. Darüber hinaus sollen die Hauptfächer aus der Alten-Musik-Abteilung auch in Zukunft als Nebenfächer unterrichtet werden können, nur eben mit anderer Gewichtung.
Gerade solch eine Neugewichtung tut aber zwingend Not, denn auch wenn Studenten davon träumen, sich einfach ihrer Kunst zu widmen und am Existenzlimit in den Tag zu leben, so belegen Studien, dass viele Absolventen sich nur wenige Jahre nach Ende ihres Studiums als vollkommen ungenügend auf ihre Berufspraxis ausgebildet fühlten. Das führt zu Enttäuschung, zu Ressentiments, oftmals auch zu schweren persönlichen Krisen bis hin zum Freitod. Es ist schöner über jene Musiker zu berichten, die, obwohl sie keine Karriere und keine Familie haben, dennoch Musik studiert hätten, aber es gibt auch eine Schattenseite.
Es gilt auch für all diese Musiker Verantwortung zu übernehmen und ihnen in ihrem jugendlichen Übermut nicht nur nach dem Maul zu reden, wenn sie darauf hoffen schon irgendwie Karriere zu machen. Eine Erweiterung des Ausbildungsportfolios in Richtung praxisbezogener Schwerpunkte und Schnittflächen mit anderen Bereichen ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber dennoch ein wichtiger erster Tropfen. Ob es in Weimar beim tropfenden Wasserhahn bleibt, oder die Dämme brechen, wird die Zukunft weisen.
Wer hingegen Musikern die pure Freiheit bieten möchte, sich kompromisslos ihrer Kunst zu widmen und darauf zu vertrauen, dass sie damit später ein Auskommen finden werden, muss weitaus strengere Auswahlkriterien fürs Studium durchsetzen und – de facto – die moderne Massenuniversität als Ganzes hinterfragen.