Tichys Einblick
„progressiv“ - „Verblüffend und gefährlich“

In Frankreich wächst die Panik vor einem radikal linken Regierungsprogramm

Mélenchon, die Linke und ihr Programm waren auch vor der Stichwahl keineswegs geheim. Doch Unternehmer und Besitzbürger kniffen ein Auge zu, damit das Rassemblement nicht an die Macht gelangte. Kein kritisches Wort zur „Front“ gegen Le Pen & Co. kam über ihre Lippen. Nun könnte ein Exodus anstehen.

IMAGO

Am Tag nach der Wahl stand den französischen Wirtschaftskapitänen der kalte Schweiß auf der Stirn. Das Programm der grünlinken „Volksfront“ (NFP) beunruhigt die Unternehmer. Merkwürdigerweise waren ähnliche Töne vor den Wahlen nicht zu hören. Wurden die Patrone vom Wahlergebnis überrascht? Vielleicht. Doch nun ist das Klagen groß: „Der Triumphalismus der Neuen Volksfront hat keinen Sinn, noch weniger der von Mélenchon. Das Wirtschaftsprogramm von LFI (der Partei Mélenchons) ist verblüffend und gefährlich.“

Gegen die pseudo-republikanische Front, die Macron zusammen mit LFI und anderen Parteien der Linken eröffnete, hatten die Unternehmer allerdings nichts einzuwenden. Sie ließen zu, dass das Rassemblement national (RN), das eine in vielem unternehmensfreundliche Politik vorschlug, in die Ecke gedrängt wurde. So gingen dem Parlament Stimmen auf der „Rechten“ verloren, und es war klar, dass daraus ein Linksdrall resultieren würde.

So würde ein RN-Vorschlag wie derjenige, die Erbschaftssteuer für Familien der Mittel- und Unterschicht zu streichen, auf Dauer zur Entstehung von Kapital führen, das letztlich auch dem Unternehmertum zur Verfügung steht. Doch so weit dachten die Unternehmer nicht. Nun fiel es einem von ihnen allerdings doch ein: „Das Programm des NFP ist sehr viel gefährlicher als das des RN.“

Viele Franzosen, die RN oder auch die konservativen Republikaner gewählt haben, denken an Auswanderung angesichts einer sich ankündigen Linksregierung, die direkt oder indirekt auch unter dem Einfluss der machtvollen ultralinken, einwanderungs- und islamfreundlichen Partei „Aufsässiges Frankreich“ (LFI) von Jean-Luc Mélenchon stehen wird. Die grüne Ökologistin Sandrine Rousseau, die sich Hoffnungen auf das Amt der Parlamentspräsidentin macht, berichtet über die „stillen“ Fortschritte auf dem Weg zu einer Regierung des NFP, also der integralen Linksfront inklusive LFI. Die Belassung von Attal als kommissarischem Premier sieht Rousseau als „erste Verweigerung von Demokratie“ durch Präsident Emmanuel Macron.

Das Wort „progressiv“ nimmt eine neue Bedeutung an

Mélenchon hatte unmittelbar nach dem Wahlausgang hervorgehoben. die Linksfront werde, einmal an der Macht, „nur ihr Programm“ und zwar als Ganzes umsetzen. Allerdings hat sie allein keine Mehrheit der Stimmen, müsste also eventuell per Dekret regieren so wie die Macron-Regierungen vor ihr. Die Macronie verurteilt nun die Linksfront, weil sie dies vorhabe – die Linken erwidern, dass das Präsidentenlager in 18 Monaten 20 Mal den Artikel 49.3 gezogen habe, durch den ein Gesetz ohne Mehrheit im Parlament beschlossen wird.

Mélenchon wird nun gerne als linker Nationalist gekennzeichnet. Er will die Rente mit 64 sofort auf 62 Jahre zurücknehmen, später nach Möglichkeit auf das frühere Eintrittsalter von 60 Jahren kommen. Das ist die Position des gesamten NFP, die auch ein François Hollande unterschrieben hat. Daneben gibt es laut Daily Mail Pläne für bis zu 90 Prozent Einkommensteuer. In Frankreich war freilich bekannt, dass die Linksfront sich eine höhere „Progressivität“ der Steuersätze wünscht. Aber so sehr? Die Vermögensteuer ist zudem im Gespräch und eine „Exit-Steuer“ für Betriebe, die das Land verlassen wollen. Auch eine „Flat Tax“ von einheitlich 30 Prozent auf Kapitalerträge wollen die Linken abschaffen, offenbar zugunsten einer höheren und „progressiven“ Besteuerung. Dieses Wort „progressiv“ nimmt gerade eine ganz neue Bedeutung an.

Ist das Geld in Frankreich überhaupt noch sicher?

Die Daily Mail weiß von einer drastisch gestiegenen Nachfrage wohlhabender Franzosen nach Finanz- und Vermögensberatung, schon als Macron seine Neuwahlen ankündigte. Als nahegelegene „Steuerparadiese“ mit sehr ähnlichem Lebensstandard stünden Italien, die Schweiz oder Spanien zur Verfügung.

Die grünlinke „Neue Volksfront“ plant daneben umfangreiche Ausgabenprogramme, die den Staat fiskalisch weiter schwächen werden. Der Mindestlohn soll drastisch um 14 Prozent erhöht werden, was auch den Staat als Arbeitgeber betreffen wird. Zusammen mit der zurückzunehmenden Rentenreform Macrons soll das mehr als 150 Milliarden Euro in drei Jahren kosten, während Kritiker die Kosten bei bis zu 300 Milliarden Euro sehen.

Auch die Frage, ob in Frankreich angelegtes Geld überhaupt sicher sei, kommt nun häufig in den Gesprächen der Finanzberater vor. Das ist gleichsam die Systemfrage mit dem impliziten Kern: Kommt es zur Staatsschuldenkrise? Könnte es zum Haircut nach griechischem Vorbild kommen? Die deutsche Wirtschaftswoche ist ohnedies sicher, dass Frankreich schon für das Wahl-Patt allein von den Märkten bestraft werden wird. Wie sehr erst durch eine wirklich installierte Linksregierung. Auch für das Handelsblatt kommt es nun darauf an, dass Grüne und Sozialisten mit den Republikanern zusammenarbeiten. Die große Grün-Rot-Gelb-Dunkelblau-Koalition gegen den Marktkollaps? Für Frankreich vermutlich unrealistisch.

Preiskontrollen vom Staat gegen den Kaufkraftverlust

Und noch eine Miszelle aus dem Linksfront-Programm belegt, wohin die Reise gehen soll. Denn Mélenchon und Genossen wollen die Preise auf lebensnotwendige Produkte schlichtweg vom Staat festlegen lassen. Angeblich behindern Monopole oder „dauerhafte Versorgungsschwierigkeiten“ die preisgünstige Versorgung der Franzosen, etwa mit Lebensmitteln.

Preiskontrollen gelten aber seit jeher als Gift für die Marktwirtschaft. Sie behindern letztlich auch das, was die Linken angeblich garantieren wollen: die sichere Versorgung mit Gütern über eine für alle Seiten angemessene Preisfindung. Gewarnt wird vor Knappheit und Mitnahmeeffekten. Die Frage ist daneben, ob solche Preisdiktate rechtlich machbar wären. Vorgeschlagen wird, dass die Vorgaben „durch ein Dekret des Staatsrates“ durchgesetzt werden sollen, was kurios ist, denn der Conseil d’État ist eigentlich für die rechtliche Beratung der Regierung zuständig und fungiert daneben als ein – regierungsnahes – Verfassungsgericht. Ein Monopol gibt es zudem gar nicht auf dem wichtigen Lebensmittelmarkt.

Gegen etwaige Monopole sollten kartellrechtliche Maßnahmen besser greifen als staatliche Preisvorgaben. Der Vorschlag ist also ein weiterer, der zu mehr gelebtem Sozialismus in Frankreich führen würde – mit möglicherweise venezolanischen Ergebnissen, nämlich ernsthaftem Mangel an Produkten. Übrigens sind Preiskontrollen in Frankreich derzeit möglich, aber nur für sechs Monate.

Antideutscher für das Savoir-vivre

Auch ein Antideutscher soll Mélenchon sein. Schon 2014, noch vor der Gründung seiner aktuellen Partei, zeigte er seine Aufsässigkeit mit einem Tweet an Angela Merkel: „Maul halten, Frau Merkel. Frankreich ist frei.“ Die Kanzlerin hatte die Franzosen damals auf die Notwendigkeit von Reformen hingewiesen. Reformen, die dann Merkels Verbündeter Macron unternahm und die jetzt zurückgedreht werden sollen, weil es Macron gefiel, den eigenen Untergang mit dem Aufstieg der Linksfront zu krönen.

Nun ruft auch in Frankreich der macronfreundliche Intellektuelle Bernard-Henri Lévy durch „Dämonisierung“ Mélenchons auf: „Il faut diaboliser Mélenchon“ – man muss einen Teufel aus Mélenchon machen. Lévy ist froh über den in die Schranken gewiesenen RN, er will nun aber noch eine Partei ausschließen von den Trögen der Macht. Und tatsächlich fällt auch deutschen Medien nun auf, dass der Linkenführer Mélenchon ein ausgesprochener Hamas-Freund ist, der den Terror-Ausfall vom 7. Oktober als Reaktion auf die „Besatzungspolitik“ Israels rechtfertigte. Wie Judith Butler hält er die Terroristen und ruchlosen Mörder für Widerstandskämpfer. Bei den EU-Wahlen stellte er die Franko-Palästinenserin Rima Hassan auf, die zudem eng mit dem Antifa-Flügel der Partei verbunden ist, der in den südlichen Metropolen Front gegen das Erstarken des Rassemblement macht: Allerdings blieb die Mittelmeerküste auch in der zweiten Runde fest in der Hand der Nationalen. Zu bedrückend ist das Agieren der Drogenclans, sei es in Marseille, Nizza, Toulon oder Perpignan.

Das Antideutsche ist weitverbreitet in Frankreichs politischer Klasse. Argwohn erregt das deutsche Modell einer auf Wirtschaftlichkeit orientierten Politik. Merkel nannte es bekanntlich einmal „marktkonforme Demokratie“, was eine grässliche Übertreibung ist. Die Demokratie ist etwas anderes als der Markt, und sie hat sich demselben nicht vorab zu unterwerfen, wie es das Wort „konform“ nahelegt. Aber auch der freie Bürgerwille ist nicht unabhängig von den Gesetzen der Ökonomie. Das ignorieren die Franzosen gerne, weil ihnen Werte wie das gute Leben wichtig sind.

Wird Macron nun die Linken vorführen?

Welche Regierung wird Macron ansteuern? Wird er der „Volksfront“ alleine die Schlüssel der Macht geben und mit ihr sozusagen das tun, was er eigentlich mit dem RN vorhatte? Sie in aller Öffentlichkeit grillen und vorführen, bis sich ihre Regierungspläne als Luftblasen und Schaumschlägerei entpuppt haben?

Derweil steht Macron unter Druck, seine Teilnahme am Washingtoner Nato-Gipfel ab dem Mittwoch abzusagen. Während Macrons Abwesenheit könnten wichtige Entwicklungen in Paris geschehen. Die Linke könnte sich auf einen Namen für den Premierminister einigen, darauf müsse man dann geeint entgegnen. Aber wenn Macron für zwei Tage in den USA sei, sei das nicht möglich. Die Macronie hängt anscheinend an einem Kopf, dem Macrons. Fällt er, ist auch dieses Interregnum in der französischen Geschichte wohl vorbei.

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