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Status: Es bleibt kompliziert

Parlamentswahlen in Frankreich: Ein schwieriges Wahlergebnis

Würde in Frankreich das britische Mehrheitswahlrecht gelten, dann wäre der Rassemblement national (RN) nach der Wahl zur Nationalversammlung vom 30. Juni an der Regierung: er erhielt in 298 von 577 Wahlkreisen die meisten Stimmen und hätte damit die Mehrheit der Sitze. Aber in Frankreich gibt es auch einen zweiten, entscheidenden Wahlgang, und dieser brachte am 7. Juli ein Ergebnis, in dem der Gewinner des ersten Wahlganges verlor.

picture alliance / Xinhua News Agency | Xose Bouzas

Als „historische Wahl“ (vote historique) wurde die Stichwahl am 7. Juli zur französischen Nationalversammlung (Assemblée nationale) bezeichnet; denn zum ersten Mal hatte die rechtsnationale Partei Rassemblement national die Chance, die absolute Mehrheit der Sitze zu gewinnen. Das gelang überhaupt nicht – vor allem wegen des Wahlrechts..

Das französische Mehrheitswahlrecht ist komplizierter als das britische, das nach dem Grundsatz „The winner takes it all“ (Dem Sieger gehört alles) funktioniert: Für die Direktwahl eines Kandidaten genügt zunächst nicht die einfache Mehrheit, sondern nur die absolute Mehrheit, also mehr als 50 Prozent. Dies erreichten bei der Wahl am 30. Juni lediglich 76 Kandidaten (die Hälfte vom RN); in den übrigen 501 Wahlkreisen musste deshalb am 7. Juli eine Stichwahl stattfinden, bei der die einfache Mehrheit entscheidet. In die Stichwahl kommen die beiden Erstplatzierten des ersten Wahlganges sowie zusätzlich diejenigen Nächstplatzierten, deren Stimmenzahl mehr als 12,5 Prozent der Wahlberechtigten beträgt. Wegen der hohen Wahlbeteiligung (67 %) im ersten Wahlgang wäre es bei dieser Stichwahl in 311 der 501 Wahlkreise zu drei oder gar vier Kandidaten gekommen. Um eine Zersplitterung der Stimmen gegen den RN zu vermeiden, schlossen vor allem die beiden stärksten Gegenparteien, die „Neue Volksfront“ (Nouveau front populaire) und die Partei „Zusammen!“ (ENSEMBLE!) des Staatspräsidenten Macron, Wahlbündnisse mit jeweils einem gemeinsamen Kandidaten, wodurch sich die Zahl der Wahlkreise mit mehr als zwei Kandidaten auf 91 reduzierte. Die Wahlbündnisse – „republikanische Front“ (front républicain“) genannt – sollten die Stimmen gegen den RN bündeln und so verhindern, dass deren Kandidaten die Mehrheit der Stimmen erhielten. Dieses wahltaktische Verfahren funktionierte über Erwarten gut: Bei der Stichwahl gewann in 146 Wahlkreisen der Kandidat der Volksfront, in 148 der Kandidat von ENSEMBLE und nur noch in 88 der RN-Kandidat; die übrigen 119 Sitze gingen an Vertreter elf anderer Parteien und Gruppierungen.

„Die Brandmauer stoppt Le Pen“ (die Vorsitzende des RN), fasste die Süddeutsche Zeitung (8. Juli) dieses Wahlergebnis zusammen. Aber nur das französische Wahlrecht machte diese „Brandmauer“ effektiv: Der RN erzielte im zweiten Wahlgang zwar knapp ein Drittel der Stimmen, aber erhielt dafür nur 17,5 Prozent der Sitze.

Verlierer der Wahl ist nicht nur der RN, sondern auch der französische Staatspräsident, der in der neuen Nationalversammlung über keine eigene Mehrheit verfügt und nun eine Regierung bilden muss. Die beiden Brandmauer-Parteien haben zwar rechnerisch die Mehrheit der Sitze, sind sich eigentlich aber nur im Kampf gegen den RN einig. Die Regierungsbildung ist deshalb schwierig, und eine zukünftige Regierung wird es im Parlament schwer haben.

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