Tichys Einblick
Linksruck bei Parlamentswahl

Frankreich: Linksradikales „Bündnis der Schande“ gewinnt zweiten Wahlgang

Die zweite Runde der Wahlen brachte zwar Sitzgewinne für das Rassemblement national, doch noch stärker gewann die Linksfront aus Sozialisten, Grünen und Ultralinken. Jean-Luc Mélenchon forderte umgehend eine Regierungsbildung unter Führung der Union der Linken.

picture alliance/dpa/MAXPPP | Antonin Burat / Le Pictorium

Die zweite Runde der Wahlen zur französischen Nationalversammlung sind, wie erwartet, mit einem Patt ausgegangen, doch mit einem anderen, als viele erwartet hätten. Die Wahlbeteiligung lag am Ende bei sehr hohen 67,5 Prozent, wiederum etwa 20 Prozent über der Beteiligung bei den Parlamentswahlen von vor zwei Jahren.

Keines der drei großen Lager konnte eine Mehrheit der Stimmen erreichen. Der zweiten Runde waren intensive Bemühungen der linken „Neuen Volksfront“ (Nouveau Front populaire, NFP) und des macronistischen Koalition vorausgegangen, eine eigenständige Mehrheit des Rassemblement zu verhindern. Aus diesem Verfahren ging am Ende die Linksfront aus Sozialisten, Grünen, Kommunisten und ultralinken Mélenchonisten mit geschätzten 180 bis 215 Sitzen als Sieger hervor. Dahinter rangiert die macronistische Koalition mit 150 und 180 Sitzen.

Nur den dritten Platz konnte das Rassemblement national (RN) mit seinen Verbündeten belegen, mit vermutlich 120 bis 155 Sitzen. Das sind gleichwohl fast doppelt so viele Sitze für das RN wie bisher. Die Républicains und diverse Rechte, die sich nicht dem Bündnis mit dem RN anschlossen, kamen laut ersten Prognosen auf 46 bis 65 Sitze. 15 bis 25 Stimmen könnten an unabhängige Kandidaten gehen. Diese Zahlen variieren auch je nach Institut.

Als erster trat der Vorsitzende der linksradikalen Partei „Aufsässiges Frankreich“ (La France insoumise, LFI) vor die Presse und stellte fest, dass das RN weit entfernt sei von einer absoluten Mehrheit. Das war allerdings erst die Ouvertüre Mélenchons, der sogleich forderte, dass Präsident Macron die eigene Niederlage eingestehen, den Premierminister Gabriel Attal entlassen und eine Regierung aus den Reihen der linken „Volksfront“ berufen müsse. Diese Position ist allerdings auch im NFP umstritten zwischen Sozialisten und Linksradikalen. Mélenchon lobte sich, das ursprüngliche Wahlergebnis umgedreht zu haben und forderte den strikten „Respekt vor dem Willen des Volkes“.

Die „Neue Volksfront“ ist mit einem deutlich linkssozialistischen bis extrem linken Programm angetreten, in dem sie unter anderem ein vollständiges Zurückdrehen der Rentenreform („Rente mit 64“) Macrons fordert. Daneben soll der Mindestlohn sofort auf 1600 Euro im Monat erhöht werden. Das Wirtschafts- und Sozialprogramm der Linken kostet zwischen 150 und 200 Milliarden Euro. Steuern sollen erhöht werden und progressiver werden, auch die Erbschaftssteuer, zudem soll es ein „Höchsterbe“ geben. Hinzu kommen weitgehende Vorstellungen zur Ökologie und zum „Klimaschutz“.

Macron rief zur „Umsicht“ auf. Das Wahlergebnis beantworte keineswegs die Frage, wer regieren solle. Der „Mittelblock“ habe sich aber als durchaus „lebendig“ erwiesen, triumphierte der Präsident.

Düstere bis gefasste Stimmung beim Rassemblement

In ihrem Hauptquartier hatten sich das RN und die verbündeten Republikaner auf eine Feier eingestellt. Doch nun dominierten düstere Gesichter und eine Stimmung zwischen gebremster Zufriedenheit und Zukunftsangst – nicht um die eigene Partei, sondern um Frankreich: „Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft unserer Mitbürger“, sagte die EU-Abgeordnete Mathilde Androuet.

Offenbar hatte man im Lager des RN nicht mit einem so starken Effekt der gegen die Partei gebildeten Querfront aus Macronisten und Linken gerechnet. Allerdings hat sich die Fraktion des Rassemblement zusammen mit den Ciottisten nun knapp verdoppelt im Vergleich mit den Wahlen von 2022. Der stellvertretende Parteivorsitzende Sébastien Chenu resümierte, Frankreich sei „in einen Morast“ gezogen worden aufgrund „widernatürlicher Allianzen“. So würden die Macronisten nun damit enden, die „Neue Volksfront“ zu inthronisieren.

Dennoch stellte Parteichef Jordan Bardella fest: „Das Rassemblement national erzielt heute den größten Durchbruch in seiner gesamten Geschichte.“ Es seien die „Bündnisse der Schande“, die die Franzosen an diesem Abend „einer Politik des Aufschwungs“ berauben. Durch die Wahlabsprachen werde Frankreich nun „in die Arme der extremen Linken“ geworfen.

Um 20 Uhr gab es eine deutlich erhöhte Polizeipräsenz vor dem Parlamentsgebäude. Die „Antifaschistische Aktion Paris Banlieue“ hatte für 20 Uhr zu einem Marsch auf die Nationalversammlung aufgerufen. Dort blieb es zunächst ruhig. Am Sitz von LFI, der Mélenchon-Partei, kam es zu großem Jubel.

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