Tichys Einblick
Erhellendes Interview

Sahra Wagenknecht baut wieder eine Mauer

Deutschlands populärste Sozialistin will regieren – aber nicht mit jedem. In einem bemerkenswerten Zeitungsgespräch stellt die BSW-Frontfrau ihren möglichen Koalitionspartnern spannende Bedingungen. Nebenbei wirft sie eine Nebelkerze und lässt die Fragesteller intellektuell alt aussehen.

picture alliance/dpa | Michael Bahlo

In Deutschland ist es unüblich, dass eine Partei nach ihrer Gründerin benannt wird (oder nach ihrem Gründer). Es ist fast ein Vierteljahrhundert her, dass so etwas das letzte Mal vorkam.

In Hamburg hatte der schillernde Amtsrichter Ronald Barnabas Schill ein paar Anhänger als „Schill-Partei“ um sich geschart. 2001 schaffte der Trupp den Sprung in die Bürgerschaft (das ist das Parlament des Stadtstaates Hamburg). Die CDU brauchte gerade einen Koalitionspartner, und so wurde Schill Innensenator. Er fiel durch eine äußerst extravagante Amtsführung auf. Am Ende wurde es den Christdemokraten dann doch zu bunt, die Regierung zerbrach spektakulär, und Schill wanderte nach Brasilien aus.

Sahra Wagenknecht hat vor kurzem ebenfalls ihre Privatpartei gegründet: das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). Es ist sicher nicht unziemlich, als dessen Hauptzweck den Wiedereinzug der Namensgeberin und Vorsitzenden in den Deutschen Bundestag zu sehen. Die ganze Partei ist auf Frau Wagenknecht zugeschnitten: auf ihren Namen, auf ihre Positionen, auf ihre Tonlage. Es ist ein Sahra-Wagenknecht-Wahlverein.

Bösartig könnte man sich an den stalinistischen Personenkult erinnert fühlen. Aber wir sind ja nicht bösartig.

Dem einstmals angesehenen Berliner „Tagesspiegel“ hat die 54-Jährige jetzt ein Interview gegeben. Dessen Verlauf haben sich die beiden Fragesteller sicher anders vorgestellt, denn sie werden von ihrer Gesprächspartnerin intellektuell sozusagen bis auf die Unterhosen nackig gemacht. Fast die Hälfte aller Fragen sind gar keine Fragen, sondern in Wahrheit Aussagen (konsequenterweise auch ohne Fragezeichen).

Die Hauptstadtjournalisten machen immer und immer wieder den Versuch, Sahra Wagenknecht eine unangemessene Sprache und „Populismus“ vorzuwerfen. Und immer und immer wieder lässt die BSW-Gründerin jeden Vorwurf kühl an sich abperlen, um dann die Fragesteller bloßzustellen. Das sieht dann so aus:

Tagesspiegel: Macht es Ihnen manchmal Angst, dass Sie die Menschen, die zu Ihren Veranstaltungen kommen, so emotionalisieren können? In Erfurt sind Zuschauer jubelnd aufgesprungen, weil Sie sagten, wenn Sie regieren, werde man an Thüringer Schulen endlich wieder ordentlich rechnen, lesen, schreiben lernen. In Kriegsfragen ist es ähnlich.

Wagenknecht: Sie sollten mal darüber nachdenken, was es über unser Schulsystem aussagt, wenn die Forderung, dass die Kinder in den Schulen wieder ordentlich lesen, schreiben und rechnen lernen sollen, Jubelstürme auslöst.

Tagesspiegel: Der Duden definiert Demagogie mit Begriffen wie Volksverführung oder Volksaufwiegelung.

Wagenknecht: Volksverführung? Wenn ich fordere, dass man an unseren Schulen wieder lesen, schreiben und rechnen lernt?

Streckenweise liest sich das Interview wie ein Gespräch von Heidi Klum und Dieter Bohlen mit Albert Einstein.

Es verwundert dann auch nicht, dass die beiden bemitleidenswert überforderten Journalisten nicht reagieren, als Sahra Wagenknecht eine große Nebelkerze wirft und sagt: „Es geht darum, von welchen Parteien wir inhaltlich am weitesten weg sind. Das sind AfD und Grüne.“

Das freilich kann man auch ganz anders sehen. Immerhin 160.000 Wähler sind bei der jüngsten EU-Wahl von der AfD zum BSW gewandert. Und eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Sympathisanten der beiden Parteien im Hinblick auf Wohnort, Bildungsniveau, Einkommen und (fehlendes) Vertrauen in die staatlichen Institutionen verblüffend ähneln.

Natürlich weiß Frau Wagenknecht genau, dass sie maßgeblich auch im Teich der AfD fischt: Sie spricht Abgehängte und Unzufriedene an, sie kritisiert eine schlechte Sozialpolitik, sie kritisiert den woken Wahnsinn, sie kritisiert die Zuwanderung. Nicht wenige in der Union und bei den Sozialdemokraten reiben sich insgeheim die Hände, weil das BSW der AfD eine ganze Menge Wählerstimmen klauen wird und damit vermutlich verhindert, dass die Blauen sich im Osten an irgendeiner Regierung beteiligen können.

Das wäre ein tolles Thema gewesen, um Frau Wagenknecht auch einmal ins Schwitzen zu bringen. Nur leider nicht beim „Tagesspiegel“. Da wird es der Dame leicht gemacht, ihre Botschaften unters Volk zu bringen – und die sind gar nicht uninteressant. Denn die Sozialistin – die sich einst weigerte, den Bau der Berliner Mauer als Fehler zu bezeichnen – baut 36 Jahre nach der Wiedervereinigung eine neue Mauer. Genauer: Sie baut gleich zwei. Es sind zwei dieser neumodischen Brandmauern.

„Es wird mit der AfD keine Koalition geben Aber mit den Grünen möchten wir aus inhaltlichen Gründen auch nicht regieren.“

Damit erteilt Sahra Wagenknecht der (mancherorts in rechten Kreisen umhergeisternden) Hoffnung eine Absage, ihr Bündnis könnte in einem der östlichen Bundesländer eine Regierung zusammen mit der AfD bilden. Gleichzeitig lässt sie aber auch die (mancherorts in linken Kreisen umhergeisternde) Hoffnung platzen, das BSW könne einer linken Koalition mit SPD und Grünen zur Mehrheit verhelfen.

Also nicht mit der AfD und auch nicht mit den Grünen. Mit wem dann? Interessanterweise nennt die BSW-Chefin nur eine andere Partei ausdrücklich als möglichen Koalitionspartner: die CDU. Sie sagt: „Wenn wir relevante Verbesserungen in der Bildung, der Wirtschaftspolitik, im Gesundheitsbereich durchsetzen können, wird es eine Koalition mit der Union geben, sonst nicht.“ Man kann das auch als Gesprächsangebot an Friedrich Merz lesen.

Am Ende dieses Interviews kommt man jedenfalls nicht um die Einsicht herum, dass Sahra Wagenknecht – ganz egal, wie man zu ihren Inhalten steht – eine der klügeren Frauen unseres Polit-Betriebs ist. Und man versteht, weshalb immer weniger Menschen den „Tagesspiegel“ lesen wollen.


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